Hintergrund

Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Helen Hüsser
Helen Hüsser

Direkt übersetzt bedeutet nachhaltig soviel wie langfristig. Mit dem Begriff «Nachhaltigkeit» hat sich darüber hinaus ein eigentliches Handlungkonzept, eine Lebensweise etabliert. Die UNO definiert den Begriff so: «Nachhaltig ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.»

Bedeutung von Nachhaltigkeit

Bild: Tom Wheatley, Unsplash

Das Konzept der Nachhaltigkeit setzt sich aus ökologischen und sozialen Komponenten zusammen:

  • Die Gesellschaft ist sich ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt und anderen Nationen bewusst.
  • Aus dieser Verpflichtung heraus passt sich das Konsumverhalten der Menschen an.
  • Die Beachtung von Menschenwürde, Gleichstellung und Wahrung der Grundrechte sind Voraussetzung für eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit.

Vereinfacht zusammengefasst: Nachhaltigkeit bedeutet, natürliche Ressourcen und die Umwelt langfristig zu schonen, fair und mit Sorgfalt mit Finanzen umzugehen und in Frieden mit anderen Menschen und Nationen zu leben.

 

Der Begriff

Verschiedene Quellen besagen, dass der Begriff «Nachhaltigkeit» weit über 300 Jahre alt ist, er stammt aus der Forstwirtschaft. Geprägt wurde er von Hans Carl von Carlowitz. In seinem Buch erwähnte er 1713 erstmals das Wort in Verbindung mit der Schaffung eines stabilen Gleichgewichts. Carlowitz' Grundgedanke war, dass in einem Wald nur soviel Bäume gefällt werden sollen, wie in absehbarer Zeit nachwachsen. Langfristig sollte damit der Baumbestand und somit die Basis der Forstwirtschaft sichergestellt werden.

Längst umfasst Nachhaltigkeit nicht nur den Schutz natürlicher Ressourcen wie von Bäumen und der Umwelt allgemein, sondern auch die soziale Verantwortung gegenüber anderen Erdenbewohnern, also Menschen und Tieren.

 

Nachhaltigkeit und Ökonomie

Ökonomische Verantwortung im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit ist ein ungelöstes Problem. Das liegt an unserem Wirtschafts- und Finanzsystem. Es basiert auf Wachstum. Das Zins- und Zinseszinskonzept, das Bruttoinlandsprodukt, nach dem eine «gesunde» Gesellschaft gemessen wird oder das Marktleader-Streben von Konzernen – alles basiert auf dem Wachstumsgedanken.

Doch nicht nur die Wirtschaft strebt danach. Wir Menschen haben uns dieses Konzept genauso in die DNA geschrieben. Wer will schon im Lauf seines Lebens weniger Lohn? Eine kleinere Wohnung? Seinen Komfort reduzieren? Nur Vereinzelte in unserer westlichen Welt entscheiden sich bewusst für eine Reduktion. Der Rest strebt nach mehr.

Trotzdem merken wir alle intuitiv, dass sich die beiden Konzepte grundlegend in die Quere kommen. Wachstum braucht automatisch mehr Ressourcen. Und das ist das Gegenteil von nachhaltigem Handeln.

Unendliches Wachstum ist ein von Menschen geschaffenes Konstrukt und kein Naturgesetz. Um allmählich echte Nachhaltigkeit zu schaffen, muss darum das gesamte Wirtschaftswachstum überdacht werden. Daraus kann sich ergeben, dass unser gesamtes System ins Wanken gerät und von Grund auf neu aufgesetzt werden muss. Betroffen sind Investmentkonzepte ebenso wie der private Konsum und der daraus resultierende, wachsende materielle Wohlstand.

Gibt es Alternativen?

 

Die Donut-Ökonomie

In ihrem im Jahr 2018 erschienenen Buch stellt die Britin Kate Raworth ein interessantes alternatives Wirtschaftsmodell vor. Als einprägende Metapher für Nachhaltigkeit dient der Autorin der Donut.

Der innere Kreis – das Loch des Gebäcks – spiegelt die Gesellschaft und deren Bedürfnisse nach Nahrung, Wasser, einem Dach über dem Kopf und sozialer Mitbestimmung wider. Der äussere Kreis bildet die ökologischen Grenzen unseres Planeten. Dazu gehören Klimawandel, Umweltverschmutzung und endliche Ressourcen. Diese Grenzen dürfen nicht überschritten werden, müssen aber die Bedürfnisse des inneren Kreises erfüllen.

Der Grundgedanke der von Kate Raworth erschaffenen Donut-Ökonomie ist es, dem aktuellen Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren und die Ziele neu zu definieren. Weg von Wachstum, hin zu einem anderen Wertesystem, das sich genauso der Wohlfahrt von uns Menschen zuwendet wie der gesamten Natur. Damit einher geht eine gerechte Umverteilung von Ressourcen sowie die Verringerung der Schere zwischen Reich und Arm.

Buch von Kate Raworth

Eines der interessantesten Konzepte für ein neues Wirtschaftmodell steht in diesem Buch.

Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft

Im Kampf gegen die Verknappung von Rohstoffen spielt das Konzept der Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle. Dabei wird die langfristige Nutzung von Ressourcen und Produkten angestrebt. In der Praxis bedeutet dies, dass schon beim Produktdesign und der -herstellung der Fokus auf drei Attribute gelegt werden:

  • langlebig
  • reparierbar
  • reziklierbar

Der letzte Schritt ist als Recycling am besten bekannt. Im Recycling von Rohstoffen steckt enormes Potenzial. Für Klimaschutz und Wirtschaft gleichermassen. Eine konsequente Wiederverwertung könnte ungefähr 50% der weltweiten CO²-Emissionen im Bereich der Förderung und Verarbeitung natürlicher Ressourcen einsparen.

Kreislaufwirtschaft

Vereinfachte Darstellung der Phasen in der Kreislaufwirtschaft.

Das grosse Potenzial liegt in der Langlebigkeit und Reparierfähigkeit. Aktuelle Produktdesigns arbeiten hier richtiggehend dagegen – die meisten Produkte könnten viel länger leben, als wir es uns gewohnt sind. Sie bestehen oft aus Verbundstoffen, die kaum rezikliert werden können oder sie sind verleimt, so dass man gar nicht mehr an die Einzelkomponenten rankommt, um sie zu reparieren.

Von Anfang an gutes und weniger Material einsetzen, es länger brauchen und am Ende wiederverwerten. Das ist Kreislaufwirtschaft.

Zum neuen und wirklich interessanten Modell der Kreislaufwirtschaft bietet in der Schweiz die Wissens- und Netzwerkgemeinschaft Circular Hub gute Lösungsansätze für zukünftiges Wirtschaften an, mit Veranstaltungen und einer Akademie. Mehr dazu hier.

Linear zu zirkulär

Von linear zu zirkulär. Drei der wichtigsten Grundlagen für nachhaltiges Wirtschaften.

 

Konzepte zur Nachhaltigkeit

Es gibt aktuell drei anerkannte Strategien, um Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn umzusetzen.

 

1. Konsistenz


Diese Strategie strebt eine Symbiose zwischen Technik und Natur an. Naturgefährdende Stoffe sollen auf ein Minimum reduziert oder besser komplett aussortiert werden. Ziel ist es, eine dauerhaft nachhaltige Vereinbarung zwischen menschlichem Leben und Wirtschaften herbeizuführen. Das Bestreben dahinter ist es, intelligente und effiziente Wirtschaftssysteme aufzubauen. Die lineare Produktwirtschaft soll dauerhaft durch eine Kreislaufwirtschaft ersetzt werden. Eine Herausforderung, und nicht rasch umsetzbar. Stellenweise wird hier sogar von einer industriellen Revolution gesprochen.

 

2. Effizienz

Effizienz ist das Verhältnis zwischen Nutzen und Aufwand. Besser bekannt ist dieses Prinzip unter dem Motto: Aus weniger mach mehr. Effizienter wirtschaften bedeutet, das Gleiche oder eine Alternative mit weniger Rohstoffen herzustellen. Dieses Ziel wird in der Effizienzstrategie überwiegend durch technische Innovationen und moderne Arbeitsweisen angestrebt. Weniger Material und weniger Energie bieten viel Einsparpotenzial. Für Unternehmen bedeutet das nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen betriebswirtschaftlichen Vorteil.

 

3. Suffizienz


Das Wort ist ans lateinische «sufficere» angelehnt und bedeutet soviel wie «ausreichend». Die Frage dahinter ist: Welche Bedürfnisse müssen befriedigt werden, um sich ein gutes Leben zu erfüllen? Dabei geht es um den bewussten Verzicht und darum,  nicht jedem neu geschaffenen Bedarf nachzugeben. Weniger Dinge länger behalten. Weniger konsumieren, intensiver leben – um es als Philosophie auszudrücken. Denn reduzierter Konsum und ein achtsamer Umgang mit seinem Lebenswandel senkt automatisch den Verbrauch unserer endlichen Ressourcen.

Im Gegensatz zu Konsistenz und Effizienz verlangt Suffizienz nicht nach einer Veränderung der Produktion, sondern unseres Konsumverhaltens. Es ist aber falsch, hinter diesem Begriff eine Art Mangel oder kompletten Verzicht zu sehen. Es ist eine bewusste Lebensweise, der bereits viele jungen Menschen nachgehen möchten.

 

Während Ideen aus dem Konsistenz- und Effizienzbereich viel Zustimmung finden, wird Suffizienz skeptisch belächelt. Dies, weil wir kulturell in einer Dekade leben, wo Technikgläubigkeit die Oberhand hat. Insgeheim hoffen wir, dass es neue Technologien richten werden, ohne dass wir uns ändern müssen. Jedes dieser Konzepte alleine für sich verspricht aber auf lange Sicht keinen Erfolg. Am Ende muss an allen Rädchen gedreht werden.

Von den Ökoaktivisten zur Nachhaltigkeitsbewegung

Der Umweltschutz ist kein moderner Gedanke. Bereits im 19. Jahrhundert existierten in Deutschland Gesetze gegen Gewässer- und Luftverschmutzung. In der Weimarer Verfassung von 1919 wurde der Naturschutz als Ziel definiert.

Das Thema Umweltpolitik als nationales Ressort nimmt aber erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Gestalt an. Es formierte sich die Umweltbewegung der Ökoaktivisten. Sie entstand unter anderem aus der Ölpreiskrise, die ein neues Bewusstsein für die Endlichkeit von Rohstoffen ausgelöst hatte. Zudem proklamierte 1970 der Europarat das erste Europäische Naturschutzjahr, zeitgleich kam das Europäische Recyclingsymbol auf den Markt.

Auf globaler Ebene löste die Bewegung gegen die Apartheid Südafrikas sowie gegen den Vietnamkrieg eine neue Haltung im Sinne von «Kein Geld für Rüstung und die Apartheid» aus. Parallel entstanden zuerst in den USA und in Grossbritannien Finanzfonds mit Ausschlusskriterien für diese Aktivitäten, die sich vor allem an institutionelle Anleger richteten.

Im darauffolgenden Jahrzehnt formierte sich Widerstand gegen die Atomkraft, das Konzept der Abfalltrennung entstand und die Ökobewegung wandelte sich allmählich hin zu einem eigentlichen Handlungsprinzip unter dem Begriff «Nachhaltigkeit».