Hintergrund

Dreieck der Nachhaltigkeit

Helen Hüsser
Helen Hüsser

Bei nachhaltiger Entwicklung denken wir meist an Klima- und Umweltschutz. Aber Nachhaltigkeit umfasst mehr. Nachhaltig heisst primär soviel wie langfristig. Es geht um eigentliche neue Lebenskonzepte. Nach welchen Werten wir leben und nach welchen Grundsätzen wir wirtschaften. In den letzten Jahrzehnten haben sich Modelle zur nachhaltigen Entwicklung herauskristallisiert. Sie dienen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bei der Entwicklung neuer Strategien auf dem Weg zu mehr nachhaltigem Handeln. Das Nachhaltigkeitsdreieck ist das bekannteste und einfachste Modell.

Dreieck der Nachhaltigkeit

Bild: Jason Leung, Unsplash

Ökologie, Ökonomie und Soziales

Das Konzept behandelt drei Ebenen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Da diese Aspekte eng zusammenhängen, sich gegenseitig beeinflussen, ja voneinander abhängig sind, hat sich das Bild eines Dreiecks etabliert. Entstanden ist diese Idee in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Alle Seiten besitzen die gleiche Relevanz und wirklich nachhaltige Entwicklung kann nur durch gemeinsame Ziele erreicht werden. Das Nachhaltigkeitsdreieck zeigt anschaulich, wie wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklungen mit der Umwelt und den sozialen Interessen in Einklang gebracht werden müssen, damit ein echtes Miteinander möglich ist. Dabei geht es auch um künftige Generationen und deren Bedürfnisse. Dieser Vorausblick ist das eigentlich Langfristige an der ganzen Sache.

Die Definition der Vereinten Nationen zu Nachhaltigkeit bringt es auf den Punkt: «Nachhaltig ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.»

Das Nachhaltigkeitsdreieck ist auch als 3-Säulen-Modell bekannt.

Dreieck der Nachhaltigkeit

Die zentralen Themen im Nachhaltigkeitsdreieck.

Was genau beinhaltet das Dreieck der Nachhaltigkeit?


1. Die ökonomische Ebene

 

Jede Firma muss Gewinn erwirtschaften und regelmässig in moderne Infrastruktur, neue Standorte und in die Mitarbeitenden investieren. Ökonomisch zu wirtschaften ist Ziel und Motivation jedes Gewerbes. Dabei gilt es, Produktionsprozesse und administrative Abläufe im Hinblick auf die Effizienz zu optimieren und bei Bedarf neu auszurichten. Ziel ist die Minimierung der benötigten Eingangsressourcen bei einer Maximierung des wirtschaftlichen Ertrags. Natürliche Rohstoffe sind jedoch endlich, viele neigen sich bereits ihrem Ende zu. Je seltener sie sind, desto höher sind die Bezugskosten.

Wahre ökonomische Nachhaltigkeit setzt darum nicht allein auf stetiges Wachstum um jeden Preis. Das langfristige – also nachhaltige – Bestehen zum Wohle aller steht hier im Fokus. Generell geht es darum, dass unsere Gesellschaft nicht über ihre Verhältnisse leben soll, weil dies zwangsläufig die soziale Ausnutzung fördert und den Ressourcenverbrauch erhöht. Der Zusammenhang zur sozialen und ökologischen Seite des Nachhaltigkeitsdreiecks liegt also auf der Hand.

Ein anderer Aspekt der nachhaltigen Ökonomie betrifft die Produkte und Dienstleistungen, mit denen die Unternehmen ihr Geld verdienen. Eine Steigerung des Absatzes darf nicht zu Lasten der Umwelt oder der Mitarbeitenden stattfinden. Ressourcenschonende Produkte mit langen Lebenszyklen sind beispielsweise besser für die Umwelt.

Alternative Wirtschaftsmodelle, die unser vorherrschendes Wachstumsmodell mit seinen negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt schrittweise ablösen könnten, kursieren unter fortschrittlichen Ökonomen und Vordenkern schon länger. Die Circular Economy (Kreislaufwirtschaft), die Donut-Ökonomie von Kate Raworth oder auch das bedingungslose Grundeinkommen, das mögliche Ansätze für schwindende Arbeitsplätze bereithält, sind nur drei davon.


2. Die soziale Ebene

 

Hier stehen unsere Grundbedürfnisse sowie die soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen im Fokus. Das wichtigste Ziel ist es, Hunger und Armut zu bekämpfen und allen Menschen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Soziale Nachhaltigkeit beschreibt ein Leben in Würde mit minimalen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung.

Im Detail heisst das, genügend Bildungsangebote und Ausbildungsplätze zu stellen, Zwangs- und Kinderarbeit zu bekämpfen, Arbeitnehmende menschenwürdig zu entlöhnen, den Zugang zu sauberem Wasser und Ressourcen bereitzustellen oder auch Absicherungen für kranke und alte Menschen zu gewährleisten. Die Verbindung zu den anderen beiden Ebenen der Nachhaltigkeit ist somit klar: Unternehmen können für gute Arbeitsbedingungen sorgen (Ökonomie) und beispielsweise durch nachhaltige Landwirtschaft mehr Menschen mit Nahrung versorgen. Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen von ganzen Länderstrichen für den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Unternehmen gehört in einer sozial nachhaltigen Welt ausgemerzt.

Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Nur wer sich um die Erfüllung seiner Grundbedürfnisse keine Sorgen machen muss, kann sich um den Schutz der Umwelt kümmern.


3. Die ökologische Ebene

 

Die ökologische Dimension ist den meisten am geläufigsten. Hier sind vier Hauptprobleme brennend: Klimawandel, Ressourcenknappheit, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung.

Den Klimawandel leugnet keiner mehr ernsthaft. Neben dem erklärten Ziel, den Ausstoss von Treibhausgasen wie CO² oder Methan zu reduzieren, sind der Wiederaufbau von CO²-Senken über Wälder und Moore oder die Entnahme von Kohlenstoffdioxid aus der Luft mögliche Ansätze. Damit eng verbunden ist die Energiefrage. Eine verbesserte Energieeffizienz, erneuerbare Quellen sowie die massive Reduzierung des Verbrauchs gehören zwingend dazu.

Bei den Ressourcen liegt des Pudels Kern in der Erneuerbarkeit. Also alles, was zeitnah nachwächst oder sich wieder regenerieren kann, gehört zur Lösung. Als Basis der einer ökologischen Nachhaltigkeit sollten die Menschen nur so viele Ressourcen verbrauchen, wie wieder regeneriert werden können. Zum Beispiel bei der Abholzung: Wer mehr Bäume fällt als nachwachsen können, bringt das Ökosystem ins Wanken. Und sorgt wiederum für höhere CO2-Werte.

Der Artenverlust wurde lange Zeit unterschätzt. In einem Ökosystem haben sich Arten in Jahrtausenden zusammen gebildet und halten sich in Balance. Wird ein Akteur in der Nahrungskette innerhalb kurzer Zeit dezimiert, hängen alle anderen damit zusammen. Die schwindenden Insektenvorkommen beeinflussen daher direkt unsere Vogelpopulationen. Der Biodiversitätsverlust ist ungleich dramatischer als angenommen, weil sich Ökosysteme nie kurzfristig regenerieren.

Bei der Umweltverschmutzung liegt der Löwenanteil in den Gewässern, die sich alle ins Meer ergiessen. Kunststoffe werden so gut wie nicht abgebaut, Mikroplastik setzt sich am Meeresgrund ab. Industrie und Landwirtschaft tragen einen grossen Anteil an der Umweltverschmutzung bei mit dem Einsatz von Giftstoffen oder Schwermetallen, und der Verkehr ist in weiten Teilen der Welt verantwortlich für die schlechte Luftqualität.

Dies alles zeigt, dass die ökologische Ebene lange Zeit komplett vernachlässigt wurde und in der gesamten nachhaltigen Entwicklung massiv zurück steht.


Die Ökologie ist unterentwickelt

Das Dreieck der Nachhaltigkeit hat eine stark unterentwickelte Seite: die ökologische. Natürlich besteht bei allen Ebenen Handlungsbedarf. Doch wir haben in den letzten Jahrzehnten unser Augenmerk primär auf soziale Errungenschaften und auf wirtschaftliche Entwicklung gesetzt. Diese sind – zumindest in den entwickelten Weltregionen – so weit fortgeschritten wie noch nie. Die Lebenserwartung war noch nie so hoch, die Kindersterblichkeit so tief, noch nie in der Geschichte wurde so viel Geld in die Humanmedizin gesteckt, der materielle Reichtum hat kontinuierlich zugelegt, die kulturelle Entwicklung kann sich entfalten. Obwohl es vielerorts anders erscheinen mag und die Entwicklung nicht in allen Weltregionen fair verteilt ist: die kumulierten Zahlen über den Zustand des Homo sapiens sapiens sprechen Bände: Nie ging es uns besser. Aber es scheint, als passiere diese Entwicklung auf Kosten des Planeten.

Obwohl wir Menschen materiell und sozial noch besser gestellt werden möchten – vor allem in armen Ländern – stellt sich die Frage, zu welchem Preis. Sollten wir in der westlichen Welt unsere Zeit und Energie nicht langsam aber sicher dafür einsetzen, den dritten und unterentwickelten Aspekt aus dem Rückstand in die Entwicklung zu befördern? Solange unser Planet die Kosten für unsere materielle, gesundheitliche und soziale Entwicklung berappen wird, schneiden wir uns früher oder später ins eigene Fleisch.